Mit einigem publizistischen Aufwand hat SAP im April 2018 die Lizenzierung von bestimmten Nutzungsszenarien ihrer Software verkündet: Es sollte ein langjähriger Streit mit der SAP Anwendergemeinde zum Reizthema „Indirekte Nutzung“ beigelegt werden.
Grund für neues Modell: Vertrauensdefizit bei „Indirekte Nutzung“
Im Schwerpunkt adressiert das Modell das konfliktträchtige Thema „Indirekte Nutzung“ der SAP-Software. Dabei ist die Frage, ob für Nicht-SAP-Nutzer von angebundenen Drittsystemen ebenfalls SAP Lizenzen erforderlich sind, wenn diese Nutzer – also indirekt über das Drittsystem – auf das SAP ERP-System zugreifen. Eine solche indirekte Nutzung kann sowohl manuell seitens einer natürlichen Person ausgelöst werden (Human Access) wie auch automatisiert als Digital Access von irgendeinem Gerät / Maschine im Rahmen des IoT (Digital Economy).
Für derartige Nutzungen hat SAP bisher die Anschaffung von User-Lizenzen nach unterschiedlichen Modellen verlangt (z.B. Platform User). Das hat oft zu unangemessenen Härten, zu Schieflagen im Leistungsäquivalent und zu Vertrauensbelastungen bzgl. SAP als Geschäftspartner geführt. Beim SAP Audit (Lizenzprüfung) ist nämlich manches Anwenderunternehmen völlig überraschend mit fehlender Software License Compliacne und hohen Nachforderungen konfrontiert worden.
Für den direkten Zugriff einer Person (‚Human Access‘) auf das SAP-System soll es bei der herkömmlichen User-basierten Lizenzierung bleiben.
Was ist neu? Jetzt Zahlung nach Business Outcome
Nach dem neuen Modell will SAP ihr Vergütungsinteresse bei indirekter Nutzung nicht mehr zugriffsbezogen, sondern ergebnisabhängig im Sinne von Wertschöpfungskomponenten realisieren (business outcome). Neun typische Leistungsergebnisse, die Anwender mit dem SAP-System üblicherweise für ihre Geschäftsabläufe generieren, bilden die Anknüpfungspunkte für Lizenzgebühren. Es geht um die Benutzung des SAP-Systems für das Kreieren von folgenden neun SAP-Belegen („documents“):
- Sales Order
- Invoice
- Purchase Order
- Service Order & Plant Maintenance
- Production Orders (Manufacturing)
- Quality Management
- Time Management
- Material Document
- Financial Document.
Wie wird abgerechnet?
Die Herstellung darüber hinausgehender Dokumententypen sollen – jedenfalls nach bisheriger Darstellung – nicht vergütungspflichtig sein. Zudem soll lediglich das initiale Generieren eines der neun gelisteten Belege eine Vergütung auslösen, nicht zusätzlich das Entstehen weiterer Belegtypen, die im Anschluss an die Erst-Generierung als Folge der weiteren Verarbeitungsschritte resultieren.
Beispiel
Ein initiales Auftragsdokument (etwa Sales Order) entsteht vergütungspflichtig, jedoch sollen die in der Folge für diesen Vorgang produzierten Belege, z.B. Auftragsänderung, Lieferung oder Invoice gemäß gegenwärtiger SAP-Darstellung vergütungsfrei sein. Ebenfalls vergütungsfrei sind auch spätere Zugriffe für Lesen, Updaten oder Entfernen des Primärdokuments. Dabei soll es unerheblich sein, wie viele Drittprogramme, Bots oder Internet Services auf diese Informationen zugreifen oder wie oft diese geändert werden.
SAP kündigt an, die neun gelisteten Belegtypen je nach ihrem wirtschaftlichen Wert vergütungsmäßig unterschiedlich zu gewichten und Mengendiscounts zu gewähren je nach der Anzahl vergütungspflichtig hergestellter Initialdokumente. Zusätzlich wird das Verfahren dadurch kompliziert, dass für manche Belegtypen nicht der Beleg, sondern jede Position des Belegs zählrelevant ist.
Beispiel
Bei einer Bestellung wird jeder gekaufte Artikel einzeln gezählt. Nach bisheriger Verlautbarung will SAP die vergütungsrelevanten Mengen in 12-Monats-Perioden messen und abrechnen. Demnach wäre die Metrik für dieses Lizenzmodell die Anzahl Belege bzw. Belegpositionen pro Jahr.
Für wen gilt das neue Modell?
Das neue Modell gilt für Neukunden. Für Bestandskunden sollen drei Möglichkeiten offenstehen:
- Sie können unverändert im bisherigen Modell verbleiben.
- Zwecks Erledigung/Neugestaltung des Konfliktthemas „Indirekte Nutzung“ können sie für diesen Aspekt auch ihre Lizenzen auf das neue Modell migrieren und im Übrigen im bisherigen Vertragskonstrukt bleiben (Vertragsänderung mittels Addendum). Das soll unter teilweiser Anrechnung („up to 100% credit for their prior investments“) ihrer bisher getätigten Lizenzinvestitionen geschehen. Hierbei entstehen komplexe Bewertungsfragen mit Blick auf eine kommerziell akzeptable Leistungsäquivalenz.
- Diese Fragen stellen sich auch bei der dritten Option der Bestandskunden, nämlich dem vollständigen Umstieg von SAP-ERP auf S/4HANA (Contract Conversion).
Wie wird im License Audit vermessen?
Nach dem Konzept von Sender und Empfänger: SAP basiert die Vermessungstechnik auf der Identifikation von sendenden und empfangenden Systemen. Damit sollen Belege bzw. deren Generierungsquellen aus Digital Access unterscheidbar werden von solchen, die durch natürliche User im Wege des Human Access entstehen. Dabei können nach dem neuen SAP Digital-Access-Modell Lizenzierungserfordernisse auf beiden Systemseiten entstehen. Diese Systeme können SAP-Systeme wie auch Drittsysteme sein. Laut SAP werden seit August 2018 die Sender von automatisierten Zugriffen mit Identifiern ausgestattet, während die Empfänger (das buchende SAP-System) Anfang 2019 solche Identifier erhalten.
Vorläufige Bewertung
Unter kommerziellen Gesichtspunkten und aus dem Blickwinkel einer fundierten Lizenzberatung besteht bei den eingeräumten Optionen für Vertragsumstellungen die Gefahr einer Unterbewertung der bisherigen Investitionen zulasten des Anwenderunternehmens. Manches angeblich „Neue“ könnte auch nur in der Gestalt einer Neuverpackung durch Rebundling oder Renaming daherkommen. Ob eine geänderte Metrik für jedes Unternehmen besser ist, steht in Frage. Gerade bei den zahlreichen individuellen Vertragsverhandlungen zwischen SAP und änderungswilligen Anwenderunternehmen, die aufgrund des neuen Modells absehbar sind, ist dies anzuraten: Eine absichernde Unterstützung für eine vorteilhafte Neuorientierung durch Expertise von außen (Lizenzberater, Rechtsanwalt IT-Recht).
Audit-Abläufe / Compliance Prüfung jetzt fair?
Skepsis ist auch angebracht mit Blick auf die verlautbarte Absicht von SAP, gleichzeitig mit dem neuen Modell Verbesserungen in der Kundenbeziehung zu adressieren. Eine häufig diskutierte Quelle der Vertrauensbelastung ist die geschickt ausgespielte Arbeitsteilung zwischen den Funktionen Audit und Sales, die den Anwender teils mit zunächst zweifelhaften Vorwürfen der Non-Compliance in die Zange nimmt:
Dass Audits oft als zweiter Vertriebsweg und willkommene Steilvorlage für den Account Manager fungieren, hat RA Robert Fleuter separat dargelegt, s. https://www.silicon.de/41667139/software-lizenz-audits-auswege-aus-der-falle/ .
Es ist zu bezweifeln, dass die unglückselige Interessenidentität zwischen Audit- und Vertriebsorganisation, die zulasten des Anwenders am gleichen Umsatzstrang ziehen, mit dem neuen Modell ein Ende hat. Zwar annonciert SAP die organisatorische und verfahrensmäßige Separation von Audit und Sales als unabhängige Funktionen. Angeblich soll künftig nur eine global aufgestellte Audit-Einheit für die Einhaltung von License Compliance – unter Abkopplung des Vertriebs – zuständig sein. Anwenderunternehmen sollen zudem mittels neuer Vermessungstools von SAP in die Lage versetzt werden, auf einfache Weise jederzeit Überblick und Kontrolle über ihre Lizenzsituation zu erhalten.
Aber es wird doch auch künftig eine im Audit festgestellte Unterlizenzierung durch Zukauf, Migration oder andere Maßnahmen auszugleichen sein. Da setzt naturgemäß der Vertrieb wieder an. Und je mehr Findings und Vorwürfe das SAP Audit bringt, desto besser sind die Spielräume für den Vertrieb. Eine Interessenidentität liegt einfach in der Natur der Sache:
Zuerst schmerzhafter Compliance-Vorwurf durch Audit, dann Erlösung vom Schmerz durch „günstige“ kaufmännische Sales-Lösung. Ob das neue Modell Milderungen bringt, bleibt abzuwarten.
Empfehlung für Software License Compliance beim Anwender
Zwar ist das neue Modell noch nicht voll im Detail definiert und stringent in der breiten Praxis umgesetzt, aber dies läßt sich sagen: Generell müssen Methoden und Verfahren im Software-Audit für Anwenderunternehmen von vornherein transparent und verständlich sein. Einseitig von SAP geänderte und verschärfte Maßnahmen oder Verfahren sollten nicht bedenkenlos mit dem verharmlosenden Verweis auf „SAP-Standardverfahren“ praktiziert werden.
In jedem Fall ist es ratsam, vor der nächsten Vermessung von SAP eine verlässliche Auskunft darüber zu verlangen, inwieweit das Verfahren im Software Audit neue bzw. andere Maßnahmen beinhaltet und zusätzliche Nutzungstatbestände berücksichtigt. Konkret sollten Anwender die spezifische Dokumentationsänderung zur Vermessungstransaktion USMM anfordern. Unternehmen sind in der Lage, sich im Interesse ihres Risikomanagements bei License Compliance für den unerwarteten Ernstfall wirksam vorzubereiten, um unangemessene Audit-Maßnahmen sofort mit den richtigen Reaktionen zu parieren.
Im Zweifelsfall kann eine Audit-Beratung durch Experten im Lizenzmanagement und Softwarerecht Vorteile bringen, damit das Unternehmen nicht unberechtigterweise mit neuen Anforderungen und Vorwürfen bzgl. Software License Compliance konfrontiert wird. Nicht zuletzt ist ein spezieller fachlicher Blick von Lizenzberater und Anwalt Lizenzrecht/Softwarerecht in die vertraglichen Bestimmungen des gesamten Lizenzportfolios erforderlich und nützlich.